1.1 Zart Bleiben - mit Sibylle Berg

Shownotes

Weil traditionelle Männlichkeit alle trifft und „Zart Bleiben“ kein neuer Männerclub ist, der das Patriarchat feiert, ist es auch vollkommen logisch, dass sich in der ersten Folge eine Gästin zuschaltet: Sibylle Berg. Die Geschichten der Schriftstellerin und Dramatikerin über AntiheldInnen, Nerds, AußenseiterInnen, etwa Toto in “Vielen Dank für das Leben” – “das Waisenkind Toto ohne klares Geschlecht, zu dick zu groß, im Suff gezeugt“, sind nicht nur zu Fabian Hart Lieblingsbüchern geworden. Die Feuilletons haben Berg immer wieder unterstellt, sie schreibe wie ein Mann und überhaupt seien ihre Bücher voll von Pessimismus. Aber die Dinge benennen können wie sie sind, darin liegt auch jede Menge Hoffnung. Sibylle Bergs Worte treffen einen wie das wahre Leben nun mal so treffen kann, mitten ins Gesicht, voll in den Bauch und ins Herz und nichts ist nur schön oder hässlich, gut oder böse, Schwarz oder Weiß. Fabian Hart spricht mit der Gewinnerin des Bertolt-Brecht-Preis 2020 in der ersten Folge von „Zart Bleiben“ darüber, weshalb Männlichkeit auch ein Sprachproblem ist, warum queere Menschen und Frauen nur vielleicht die besseren ChefInnen dieser Welt sind, warum sie nicht gerne über Gefühle spricht und stattdessen lieber wegrennt und weshalb die Wahl-Zürcherin plötzlich so wahnsinnig optimistisch ist - zum Leidwesen aller Feuilletons dieser Welt.

Die in dieser Folge genannten „66% Frauen in Teilzeit“ sind genau genommen 66,2% und dieser Wert ist der Studie des Statistischen Bundesamtes zur Vollzeit- und Teilzeitquote von erwerbstätigen Männern und Frauen mit minderjährigen Kindern im Haushalt im Jahr 2018 entnommen: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38796/umfrage/teilzeitquote-von-maennern-und-frauen-mit-kindern/

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Sibylle Bergs aktueller Roman „GRM Brainfuck" ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen: https://www.kiwi-verlag.de/buch/sibylle-berg-grm-9783462051438

Sibylle Berg in Gesprächen mit Wissenschaftler*innen ist als Buch „Nerds Retten Die Welt – Gespräche mit denen, die es wissen ebenfalls im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen: https://www.kiwi-verlag.de/buch/sibylle-berg-nerds-retten-die-welt-9783462054606

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Diese Folge wird unterstützt durch den Werbepartner Dr. Hauschka. Dr. Hauschka ist 100% zertifizierte wirksame Naturkosmetik und ist Teil des Stiftungsunternehmens WALA GmbH. Fabian Hart und Dr. Hauschka sind für die komplette Pilotstaffel ein „Match“, da Fabian Hart das Thema Pflege und Pflegeprodukte immer wieder in seinen Beiträgen bespricht und davon überzeugt ist, dass gerade Männer dadurch Soft Skills trainieren und ein Gefühl für sich selbst bekommen können: “Was tut mir gut?”, “Was fühlt sich gut an?”

Die in der Folge besprochene „Melissen-Tagescreme“ ist hier zu finden: https://www.drhauschka.de/tagescremes/melissen-tagescreme-mattierend/

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Transkript Zart Bleiben Folge 1.1

Herzlich Willkommen zur allerersten Folge von „Zart Bleiben”. Dass die jetzt online ist, wow! Ich habe drei Monate ins Mikro geschwitzt und gelacht und geheult und hätte ich gewusst, dass ein Podcast so viel Action ist, dann hätte ich den trotzdem gemacht! Also, los geht’s.

Mein Name ist Fabian Hart, ich bin Autor und Journalist, vielleicht kennen manche von euch „Das Neue Blau“, meine Kolumne für Vogue.de, vielleicht habt ihr mich in der ARD-Produktion „Queer 4 You“ gesehen oder einfach nur in einem Crop Top auf Instagram. Egal auf welcher Plattform, meine Botschaft ist überall dieselbe: Die Geschichte vom Mann als das ewig starke Geschlecht muss auserzählt werden. Das klingt doch schon mal nach der richtigen Ambition, Pro-Feminism yeah! Ich höre euch nicken. Die 66% Frauen* in Teilzeit, die dann auch noch 21% weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Die Gays, und da schließe ich mich mit ein, wie sie versuchen ihre Homosexualität durch ordentlich Muckis zu entschuldigen, die Trans* und Inter*- Personen, die trotz Dritter Option in unserer Gesellschaft nicht berücksichtigt werden, die Queeren und Nicht-Binären, die so oft ausgelacht werden, weil sie in keine Schublade passen. Das sind alles nur Beispiele. Was ich eigentlich sagen möchte: Traditionelle Männlichkeit trifft alle – also diese fixe Idee von einem starken Geschlecht, das eigentlich nur heterosexuelle Cis-Männer meint, und alle anderen als schwach degradiert und dominiert. Aber wenn ich sage, Männlichkeit trifft alle, dann mein ich auch die in der Machtposition. Ständig das eigene Geschlecht beweisen und stark bleiben müssen und bloß nicht schwach werden dürfen – das kann einen ja nur kaputt machen. Körperlich, aber auch seelisch.

Natürlich heißt das nicht, dass alle Männer so sind. „Mann sein“ und „Männlichkeit“ ist nicht dasselbe. Das eine beschreibt das Geschlecht dem du dich zugehörig fühlst. Männlichkeit aber ist ein Sammelbegriff für Eigenschaften, die wir von Männern in unserer Gesellschaft erwarten. Wie so eine Art Knigge für Männer. Alles und alle im Griff haben, auch sich selbst. Der Begriff „toxische Männlichkeit“ wird deshalb auch immer wieder falsch verstanden im Sinne von „alle Männer sind giftig”. Nicht Männer per se sind giftig – das Ungesunde liegt in der traditionellen Männlichkeit: Keine Gefühle zulassen, Wut als stärkste Emotion zu kultivieren, aber sonst keine anderen zeigen dürfen, weil sie als Schwäche gelten, selbst wenn es gute sind. Gewalt anzuwenden. An anderen und an sich selbst.

Natürlich heißt das nicht, dass alle Männer so sind. „Mann sein“ und „Männlichkeit“ ist nicht dasselbe. Das eine beschreibt das Geschlecht dem du dich zugehörig fühlst. Männlichkeit aber ist ein Sammelbegriff für Eigenschaften, die wir von Männern in unserer Gesellschaft erwarten. Wie so eine Art Knigge für Männer. Alles und alle im Griff haben, auch sich selbst. Der Begriff „toxische Männlichkeit“ wird deshalb auch immer wieder falsch verstanden im Sinne von „alle Männer sind giftig”. Nicht Männer per se sind giftig – das Ungesunde liegt in der traditionellen Männlichkeit: Vom blauen Strampelanzug bis „Große Jungs weinen nicht“ haben wir Männlichkeit so verinnerlicht, in der Schule, zu Hause, beim Sport, im Job, in Filmen, in der Werbung, dass wir uns oft gar nicht mehr bewusst sind, was das für ein dämlicher Erwartunskatalog ist. Öffentlich weinen oder Pink tragen wird da schon zur Belastungsprobe. Mit ”Zart Bleiben“ möchte ich zur Sprache bringen, dass alle davon profitieren wenn wir diesen Erwartungskatalog ad acta legen, und uns von den Zuschreibungen lösen, sie entlernen, damit neue, alternative Männlichkeiten das unrealistische Ideal vom immer starken Mann ablösen. Das würde für uns alle eine neue Freiheit bedeuten, die Person werden zu können, die wir wirklich sein möchten.

Natürlich heißt das nicht, dass alle Männer so sind. „Mann sein“ und „Männlichkeit“ ist nicht dasselbe. Das eine beschreibt das Geschlecht dem du dich zugehörig fühlst. Männlichkeit aber ist ein Sammelbegriff für Eigenschaften, die wir von Männern in unserer Gesellschaft erwarten. Wie so eine Art Knigge für Männer. Alles und alle im Griff haben, auch sich selbst. Der Begriff „toxische Männlichkeit“ wird deshalb auch immer wieder falsch verstanden im Sinne von „alle Männer sind giftig”. Nicht Männer per se sind giftig – das Ungesunde liegt in der traditionellen Männlichkeit: Darüber könnte auch Schriftstellerin und Dramatikerin Sibylle Berg ein Buch schreiben und das hat sie auch schon, weil sie in ihren Romanen immer wieder Geschlechterrollen zum Thema macht. Sibylle und ich haben uns auf Twitter kennengelernt, vor mindestens zehn Jahren und dann hat sie mich mal eingeladen in die Berliner Festspiele oder sagt man zu den Berliner Festspielen, als sie ihr Buch “Vielen Dank für das Leben” vorgestellt hat, zu einem Berg typischen Happening mit Live-Musik, Kat Frankie, und Katja Riemann war auch da und Olli Schulz und ich hab ne Kurzgeschichte vorgelesen, aber heute hier, zur Premiere von “Zart Bleiben” kommt sie ganz alleine. ———

Werbung: Dr. Hauschka Aber bevor es jetzt aber losgeht mit Frau Berg, geht es erstmal in die Werbung: Ich freue mich sehr, euch Dr. Hauschka als meinen Werbepartner für diese Folge vorzustellen – aber ihr könnt euch schon mal an den Namen gewöhnen, denn Dr. Hauschka und „Zart Bleiben” sind für alle Episoden der Pilotstaffel ein „Match“. Und das sind wir wirklich, weil ich seit Jahren auf sämtlichen Plattformen über „Hartcare“ schreibe. Ich werde immer wieder danach gefragt, was ich selbst so verwende und ich finde auch, dass gerade Männer durch Pflege Soft Skills trainieren können: “Was tut mir gut?”, “Was fühlt sich gut an?” – Innehalten, Introspektion. Dieser ganzheitliche Ansatz trifft auch den Kern von Dr. Hauschka. Ich selbst benutze seit bestimmt schon zehn Jahren immer wieder die „Melissen Tagescreme“, weil es wirklich reine Natur ist, aber dazu konkret später aber mehr. Dr. Hauschka ist 100% zertifizierte wirksame Naturkosmetik, ob Pflege oder dekorative Kosmetik, von der Creme bis zum Concealer. Mehr zu meinen Favoriten gibt’s aber später. Jetzt geht’s wirklich los:

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Werbung: Weil wir hier keinen neuen Männerclub gründen und das Patriarchat feiern, ist es auch vollkommen logisch, dass sich in der ersten Folge von “Zart Bleiben – der Podcast über Männlichkeiten” eine Gästin zuschaltet. Sibylle Bergs Geschichten über Antiheldinnen, Nerds, Außenseiterinnen, sind zu meinen Lieblingsbüchern geworden. Zum Beispiel Toto in “Vielen Dank für das Leben” – “das Waisenkind Toto ohne klares Geschlecht, zu dick zu groß, im Suff gezeugt“. Oder Sex II, ein Roman, 24 Stunden lang, bei dem man Berg unterstellt hat, sie würde schreiben wie ein Mann und überhaupt seien ihre Bücher oft voll von Pessimismus. Aber die Dinge benennen können wie sie sind, darin liegt jede Menge Hoffnung finde ich. Sibylles Worte treffen einen wie das wahre Leben nun mal so treffen kann, mitten ins Gesicht, voll in den Bauch und ins Herz und nichts ist nur schön oder hässlich, gut oder böse, Schwarz oder Weiß. Ich wollte unbedingt mit ihr sprechen, weil sie so gut darin ist das Menschliche zu sezieren und in diesem Falle Männlichkeit. Ich freue mich sehr, dass sie zugesagt hat.

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Fabian Hart: Herzlich Willkommen in meinem digitalen Studio, dass ich noch nicht so richtig begriffen habe. Aber ich bin mir sicher nach diesem Gespräch...

Sibylle Berg: …wird das auch nicht besser. (beide lachen)

Fabian Hart: Als ich dich gefragt habe, ob du mit mir über Männlichkeiten sprechen möchtest, hast du gesagt „Ja, als Kind habe ich sowieso gedacht, dass ich eigentlich ein Junge sein müsste“. Warum?

Sibylle Berg: Sagen wir mal so, es gab da sehr viele Irritationen. Also als Kind habe ich vielleicht noch nicht darüber nachgedacht, aber im jugendlichen Alter war ich überzeugt davon, dass ich männlich bin und brachte das aber mit den vorhandenen Genitalien nicht in Einklang. Das hatte eine Reihe von komischen Folgen. Zum Einen, dass ich mich sehr schnell anfing zu schminken, zum Anderen, dass ich mich dann immer wie ein geschminkter Mann fühlte. Was okay hätte sein können, wenn ich nicht in einer Kleinstadt gelebt hätte. Das darüber Nachdenken habe ich irgendwann aufgegeben: „Das ist dann eben jetzt so. Also ich bin wahrscheinlich einfach ein Mann, der keinen Penis hat.“ Ich habe das Thema dann auch beendet, weil ich dachte „Okay, das ändert ja nun nichts, ich sollte mal einfach weiterleben“.

Fabian Hart: Was an dir ist männlich, was nicht weiblich ist?

Sibylle Berg: Dass ich es lange komisch fand, dass ich nicht so eine „tolle Frau“ bin. Weißt du, wir reden wieder von Zuschreibungen: warm, weich, fürsorglich. Der ganze Schmu, der Frauen zugeschrieben wird, um sie ruhig zu halten.

Fabian Hart: …und auch kleiner zu halten

SB: Ja und kleiner. Das haben wir ja grade gemerkt, dass wir durch die Studiotechnik Stimm-Schwierigkeiten hatten. Meistens sind die Stimmen von Frauen meistens höher, leiser und darum werden sie nicht ernst genommen. Eine Frau, die lauter wird, die ist sofort hysterisch.

FH: Traditionelle Männlichkeit funktioniert über Ausgrenzung und ist eigentlich die stete Ablehnung von allem was wir so als weiblich festlegen. Wenn du sagst, dir wurde antrainiert, dass du als Frau eine hohe Stimme hast, die leise ist und sanft klingt, dann wäre es für einen Mann aber herabsetzend, würde er mit so einer Stimme sprechen.

SB: Du kennst dich doch in Amerika ganz gut aus. Dort ist das wahnsinnig auffällig und ich denke immer „Kinder, ihr bekommt alle irgendwann Kehlkopfkrebs“. Das ist es üblich, dass die Männer ihre Stimme immer weiter, tiefer nach unten drücken und die Frauen sprechen alle in einer übertrieben hohen Stimmlage. Die Rollenbilder sind dort so stark in die Menschen übergegangen, dass sie nicht mal merken, dass sie ihre Stimme verzerren. Ich denke natürlich, dass das für Männer und für Frauen, um jetzt nur zwei Geschlechter aufzuzählen, eine sehr verkantete Situation ist. Das ist auch sehr unbefriedigend für sehr viele Männer, die wahnsinnige Verformungen machen, um diese Fraternisierung hinzubekommen, um Anerkennung von Männergruppen zu erhalten.

FH: Du musst ja Männlichkeit ständig beweisen, damit du durchgehst als „richtiger Mann“ oder „harter Kerl“…

SB: Man muss da mitspielen, denn Männer haben vor Männern Angst. Nicht vor Frauen. Das ist einfach so. Ich glaube das zwingt auch viele Männer in furchtbare Situationen. Alleine dieser ganze Karriere-Bullshit-Stress.

FH: …und wenn du dich nicht an diesen Anforderungskatalog hältst, dann bist du einfach eine Lachnummer.

SB: Richtig. Also ich will jetzt nicht irgendwie wahnsinnig in diese Schiene verfallen „die armen Männer, die haben es auch nicht leicht“. Natürlich haben sie es nicht leicht, wir haben es alle nicht leicht. Wir sind alle Menschen und wir sind sterblich und eigentlich ist das Leben dazwischen eine Aneinanderreihung von Demütigungen, oder? Wir werden krank, wir werden alt, wir sterben, wir verlieren unsere Jobs und Leute, die wir lieben. Es ist für alle irgendwie der gleiche Start in so ein Leben, was für alle irgendwie anstrengend ist. Nur ist es dann für viele eben noch ein bisschen beschissener, wenn sie eben aus dieser Männergesellschaft rausfliegen, weil sie queer sind, weil sie Frauen sind, weil sie Schwarz sind, was wir ja gerade beobachten… Dieses System ist schon ein bisschen krank und ich finde das Wichtigste ist, dass man das jetzt mal begradigt…

FH: Meine Homosexualität hat mir dabei geholfen, dieses Männlichkeits-Ding zu durchbrechen, weil ich irgendwann gemerkt habe, sorry, ich kann das gar nicht erfüllen. Ich kann gar nicht der „richtige Kerl“ sein, den ihr von mir erwartet. Weil alleine dadurch, dass ich Schwul bin, habe ich ja sowieso Männlichkeit „zerstört“.

SB: Du hast die vernichtet, das ist so. Du bist Schuld! (lacht)

FH: Du hast, so sagt man, ich ganz vielen Ländern gelebt, unter anderem auch in Bulgarien. Du bist in der ehemaligen DDR geboren, bist nach Hamburg gekommen, mit einer Erziehungsberechtigten. Wo sind dir eigentlich die besten Männer begegnet bisher?

SB: Das hat mich nie so interessiert. Es war auch nicht Bulgarien, sondern Rumänien, aber das ist ja ungefähr dasselbe. Das hat mich wirklich nie interessiert, ich muss es dir gestehen.

FH: Und wo waren die besseren Menschen?

SB: Die besten Menschen, die ich getroffen habe, vollkommen oberflächlich und ohne besseres Wissen, habe ich in Island gefunden.

FH: Da hast du auch gewohnt?

SB: Nein, da habe ich nicht gewohnt.

FH: Aber fast!

SB: Fast. Also wenn Island Palmen hätte und warmes Wetter, wäre das mein Land. Weil dort hatte ich das Gefühl – und wir wissen Gefühle sind Bullshit – von einer sehr freien und gleichberechtigten Gesellschaft.

FH: Aber jetzt erzähle den Männern nicht Gefühle seien Bullshit. Im ersten Schritt müssen wir ja erstmal verstehen, dass es die überhaupt gibt um dann zu begreifen, dass sie in vielen Momenten ja doch nur Bullshit sind…

SB: Ey Gefühle, Alter. Ich weiß auch nicht, ich bin da auch nicht so gut. Das Einzige woran ich mich immer orientiere, ohne es zu benennen, nie wirklich hinterfragt oder erforscht, ist handeln nach Lage. Also du merkst schon irgendwie habe ich auch non-binäre Statusse. Ich würde nie typische Gefühls-Gespräche führen: „Du hast mich jetzt verletzt“ oder so. Ich habe doch keine Ahnung. Wenn mich jemand verletzt sag ich „der tut mir nicht gut, ich weiß nicht ob er mich verletzt hat. Ich fühle mich einfach unwohl. Ich glaube das wäre für Männer und für Frauen gar nicht so doof, wenn man gar nicht erst versucht das alles zu erlernen und zu ergründen, sondern wenn man einfach überlegt: Wie ist es mir wohl? Es klingt jetzt sehr naiv, aber man merkt das ziemlich gut.

FH: Also ich bin jetzt Mitte 30 und mache zum ersten Mal in meinem Leben für eine Therapie. Die mache ich nämlich gerade.

SB: Oh my God! Glaubst du, dass das gut ist? Willst du die nicht lieber bei mir fortsetzten?

FH: Ist doch schon ein bisschen Therapie mit dir hier!

SB: Du liegst schon, oder?

FH: Ich liege die ganze Zeit!

SB: Und bist nackt, normal.

FH: Ja, nur ein Leinentuch steht in der Luft. (lacht) In der Therapie mache ich ja jetzt das genaue Gegenteil. Da lerne ich, warum ich in gewissen Momenten abhaue, aus Angst oder weil es wehtut.

SB: Aber was spricht denn gegen weglaufen? Ist doch ein cooler Move!

FH: Weil man dann vielleicht Menschen verliert, die man liebt!

SB: Aha!

FH: Wenn du immer wegläufst, dann bleibst du ja nie.

SB: Aber wenn du die richtig liebst, dann bleibst du doch dort. Wir drehen uns im Kreis, vielleicht werde ich doch keine Therapeutin.

FH: Du hast in deinen Romanen ja immer wieder auch Gender thematisiert. Wir haben vor ein paar Jahren „Einen Tag mit…“ zusammen verbracht, im Haus der Berliner Festspiele. Da kam dein Roman „Vielen Dank für das Leben“ raus und die Hauptfigur darin ist „Toto“. Was war damals dein Background, diese Figur so zu schreiben?

SB: Naja, bestimmt viel eigenes Erleben. Dieses Sich-als-Freak-Fühlen. Es ist ja nicht autobiografisch, aber sehr viel von erlebten Gefühlen zum Einen, zum Andern aber auch von beobachteten Lebensentwürfen, die ich von „Freak-Freunden“ kenne. „Freak“, muss man dazu sagen, ist bei mir absolut positiv besetzt. Das sind für mich die Menschen, mit denen ich zu tun haben will. Also wirklich alle, die sich nicht an Erwartungen von anderen halten. Alle, die ihren eigenen Weg finden oder einfach Menschen, die gegen das System schwimmen. Irgendwie war das Buch für mich ein Denkmal für alle, die anders sind, oder sich anders fühlen. Das war mein Antrieb.

FH: Das ist ja eigentlich etwas Optimistisches und etwas Inklusives. Trotzdem wird dir in ganz vielen Artikeln „radikaler Pessimismus“ zugeschrieben. Aber ich frage mich, ob das nicht eigentlich etwas Befreiendes ist, sich nicht mehr diese heile Welt aufrechtzuerhalten, zu sagen „Es ist ganz schön kacke, was hier gerade passiert“ und dass Menschen eigentlich nie frei sind. Liegt in diesem Anerkennen, dass wir eigentlich scheitern, Hoffnung?

SB: Du kannst es scheitern nennen, ich habe vorhin gesagt, das ist Leben, das aus Demütigungen besteht, die man mehr oder weniger beschadet überstehen kann und die alle mit dem gleichen Ende fertig sind. Da musst aber natürlich auch schauen, wer schreibt überhaupt Kritiken und sind die überhaupt wichtig?

FH: Das sind auch meistens Männer!

SB: Ja, es sind meistens Männer und nichts gegen Männer, die Kritiken schreiben, das muss auch einer erledigen. Es ist ja auch schön, dass es noch gemacht wird, wenn ich sehe, dass Bücher immer weniger Relevanz haben. Ich finde diesen Vorwurf des Pessimismus immer völlig Banane muss ich sagen. Es interessiert mich nicht irgendwelche geschönten Zustände zu beschreiben, sondern ich versuche die Zeit zu erfassen, in der ich mich gerade aufhalte. So wie man über seinen hübschen, kleinen Hausgarten in Wanne-Eickel hinausschaut, ist da nicht alles in Ordnung. Und wenn du irgendwie anders bist als diese normativen Kleinfamilien, die irgendwie ordentlich arbeiten, gut Steuern zahlen und vielleicht kreuzunglücklich damit sind, weil sie stockschwul sind oder lesbisch der was weiß ich, dann ist das Leben sehr anstrengend für die, die ein bisschen von dieser gesetzten Norm abweichen. Das ist die Realität. Und ich finde es interessant, dem nach zu gehen: was ist eigentlich der momentane Zustand? Und eben auch diese Verbindung von fraternisierten Männerbünden und Patriarchat und Marktwirtschaft und Neoliberalismus und Diktatur und Populismus. Das sind, sorry, aber zum größten Teil von Männern gemachte Entwicklungen. Wobei ich überhaupt nicht sage, dass Frauen oder queere Personen das anders machen würden. Wir haben es nur noch nicht zeigen können, ob wir es anders machen.

FH: Aber man sieht ja jetzt auch schon durch Corona, dass Länder, die von Frauen geführt werden, etwa Jacinda Ardern, Angela Merkel, richtig gut klarkommen mit der Pandemie umgehen. Und im Vergleich dazu sehen wir auch, dass Trump, Macron, …

SB: …Bolsonaro…

FH: …dass die über das Coronavirus sprechen, als müsse man die Knarren rausholen. Komplette Kriegs-Lingo! Also wird ja grade schon bewiesen, dass Frauen zumindest momentan mit dieser Herausforderung besser umgehen als Männer.

SB: Ich wäre da vorsichtig mit Thesen, die wir nicht empirisch belegen können. Wenn einfach die Hälfte aller Länder von Frauen regiert werden würde, dann könnten wir sehen, ob das wirklich funktioniert. Ob da andere Ideen, oder Emphatien, oder eine andere Weitsichtigkeit entsteht. Mir wird immer Schmu, wenn ich sehe, dass es ja auch Frauen sind, die als Investmentbänkerinnen genau den gleichen Bullshit machen. Also ich weiß nicht, aber es wäre in jedem Fall zu sehen, wie sich die Welt verändern würde. Oder ist einfach die Menschheit? Die Spezies Mensch? Steht die einfach wahnsinnig auf ihr eigenes Aussterben? Das könnte ja auch sein, dass wir einfach so eine eingebaute Obsoleszenz haben…

FH: Dass wir so gepolt sind?

SB: Ja, hey wir machen jetzt einfach so lange, bis wir alle von dieser flachen Erde runterrutschen ins Weltall. Und Tschüssi!

FH: Und gleichzeitig ist es fast schon ein Ergebnis progressiver Veränderungen – ob das jetzt durch Social Media eine neue Sichtbarkeit für non-binäre, oder Trans*-Menschen oder queere Menschen sind – dass es Traditionalisten gibt, die sagen „Was wollt ihr denn jetzt mit eurem neuen Leben oder neuen Weltordnung? Früher war alles besser!“

SB: Klar.

FH: Ist das wie ein Pendel, der einmal in die eine Richtung schwingt, ganze extrem, und dann in die andere und wir werden uns irgendwann in ein paar Jahren in der Mitte auspendeln?

SB: Es ist ja nicht so, dass nur wir Recht haben. Also in vielen Sachen haben wir natürlich Recht, weil ich glaube an Grundsätze wie etwa, dass alle Menschen gleich sind. Das heißt aber, dass konservative Menschen auch Menschen sind. Wenn sie dann eben an Gott glauben und an traditionelle Geschlechterrollen, dann ist das okay. Was man glaube ich mittels Bildung irgendwann erreichen können müsste, wäre, dass die Menschen so klug sind, dass sie sagen „Ja, ich glaube an eine Gott, ich bin Traditionalist*in, ich glaube an mein Hausfrauendasein, mein Mann soll die Kohle ranschaffen, das Mädchen wird rosafarben angezogen. Aber es ist völlig legitim und gleichwertig, wenn andere Menschen komplett andere Lebensmodelle haben.“

FH: Das Problem dabei ist ja, dass bezogen auf das Thema Männlichkeit, viele Männer nach traditioneller Männlichkeit leben können, dürfen, sollen. Aber mich dann nicht dafür zur Rechenschaft ziehen, wenn ich das nicht tue.

SB: Ich glaube, da hilft wirklich nur Unverdrossenheit und Weitermachen. Ich denke nicht, dass das Pendel gleich immer hin und her schwingt und dass es auf jeden kleinen Fortschritt zwei Rückschritte gibt. Ich glaube da nicht dran, aber das ist Glauben und Glauben ist Bullshit. Ich beobachte einfach, dass es für Männer und Männerbünde und das Patriarchat sehr lange relativ ungestört lief. Abgesehen von ein paar föderalistischen Systemen und Foltern und Kriegen und was sie nicht alles so veranstaltet haben. Also abgesehen davon wurde diese Machtposition eigentlich nie in Frage gestellt. Und dass das jetzt wirklich passiert, ist noch nicht sehr lange her. Also im Zeitmesser der menschlichen Entwicklung ist es wirklich eine relativ kurze Zeit. Ich glaube mit der Beschleunigung, die wir gerade erleben, den Beschleunigungen, die durch die Digitalisierung erfolgen und dadurch, dass die Welt immer kleiner zu werden scheint und dass Entwicklungen so wahnsinnig schnell gehen, sind einfach sehr viele Menschen überfordert. Und das macht bei Männern – es sind leider vorwiegend Männer – dass sie sich dann nach der „guten, alten Zeit“ sehen, also so eine Nostalgie nach einer Zeit, die es nie gab entwickeln. FH: …Erinnerungsoptimismus…

SB: Richtig, und sich die eigene Macht zurückzuwünschen, die sie nie hatten. Es war nie gut. Es war immer scheiße. Und wenn wir Pech haben, bleibt es auch immer scheiße, aber man muss ja versuchen, das zu ändern. Und ich beobachte viele kleine Entwicklungen. Dass jetzt auf einmal in den Medien relativ selbstverständlich gegendert wird etwa. Ich sehe das und denke jedesmal „Cool, wir haben etwas gelernt“. Dass es irgendwie für Politikerinnen selbstverständlicher ist, ihre gleichgeschlechtlichen Partnerinnen mitzubringen und dass offen darüber geredet wird, er bringt seinen Mann mit, sie bringt ihre Frau mit. Das ist ein Riesenfortschritt. Das wäre noch vor vierzig Jahren ein Affront gewesen. Es gibt positive Entwicklungen. Es geht nur alles verschissen langsam!

FH: Ich habe für mich festgelegt, dass ich, soweit es mir möglich ist, mich nicht justiere in meiner Männlichkeit, in meiner Idee von was für ein Mann ich bin. Dass mache ich in erster Linie für mich, weil ich einfach mein Leben so leben möchte wie es mir gefällt und ich weiß, dass das auch eine ganz schön privilegierte Geschichte ist, dass ich das so machen kann. Auf der anderen Seite weiß ich auch, dass wenn ich über solche Themen spreche, beispielsweise mit meiner Nichte, die jetzt vierzehn Jahre alt ist, dass ich da etwas bewirke, das in der nächsten Generation einfach schonmal angesprochen wurde. Das hat mir gefehlt damals. Ich habe jahrelang gedacht ein „CSD“ ist einfach nur eine Party, die irgendwelche schwulen Leute feiern. Dass das mit Stonewall und Protesten in Verbindung steht, war mir jahrelang einfach nicht klar. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir darüber sprechen, damit die nächste Generation nicht wieder von vorn anfangen muss, sondern das schonmal mitbekommen hat. Mittlerweile können wir uns stärker vernetzen und näher zusammenfinden wie je zuvor, nur ärgerlich, dass das Leben dadurch nicht unbedingt leichter wird.

SB: Naja, ich habe heute echt Optimismus-Tee getrunken: Irgendwie wird es ja doch leichter….

FH: Also ich finde dafür, dass sie dir immer Pessimismus vorwerfen…

SB: …dafür bin ich wahnsinnig gut gelaunt! (lacht)

FH: Du bist richtig gut drauf! (lacht)

SB: Nein, ich denke wirklich „Hätte es das mal früher so gegeben!“ Das hätte viele junge Menschen vom Selbstmord abgehalten. Es hätte viele so stark gemacht, gerade in dieser Zeit, wenn du noch nicht richtig fertig bist und du nur normal sein willst und dir keiner sagt, dass es dieses Normal überhaupt nicht gibt. Also entweder sind wir alle Normal oder keiner. Ich finde von daher nach wie vor die Digitalisierung großartig. Wir müssen jetzt mal ganz demokratisch sein und sagen, dass Menschen, die glauben, dass die Erde flach ist, sich finden können und das ist auch cool. Die haben sich bestimmt ganz furchtbar einsam gefühlt!

FH: Das ist auch cool!

SB: Die dachten irgendwie „Ich bin der einzige Mensch, der weiß, dass die Erde flach ist“. So, und jetzt können sie darüber im Internet…

FH: …flache Witze machen…

SB: …genau, und Berechnungen erstellen und das ist doch großartig.

FH: Du hast eben gesagt, dass du schon merkst, also um nochmal deinen Optimismus zu wiederholen, dass sich viele Dinge zum Guten entwickeln. Inwiefern kannst du das auch als Schriftstellerin und Dramatikerin unterschreiben? Ist es einfacher geworden für dich als Frau in so einem Männerverein?

SB: Als Frau mit Penis, den ich habe. (lacht) Wie viel Jahre mache ich den Quatsch schon? 20 Jahre? Da hat sich dramatisch viel geändert. Wollen wir mal mit dem Negativen anfangen. Es ist noch tüchtig Luft nach oben. 90% aller Preisträger, ob Nobelpreis oder Georg-Büchner-Preis, sind männlich, oder? Das wird jetzt irgendwie hektisch versucht ein bisschen zu korrigieren. Aber immerhin, mit der Zusammensetzung der Jurys ist schon viel passiert, so dass du jetzt merkst, wenn du wirklich eine rein männliche Jury hast, machst du dich einfach lächerlich. Das betrachte ich wohlwollend. Wenn du eben nicht diverse Teams hast oder überhaupt eine diverse Besetzung, wirkt man eher verstaubt und lächerlich und das ist cool. Weil das trifft. Lächerlichkeit – das mag kein Mann. In den Theatern, die ja unserer Realität spiegeln sollen, ist es immer noch irgendwie ein Trauerspiel. Die Intendanten – Bemerkung: Penis ist mitgemeint, eigentlich nur gemeint – sind männlich. Also Theater sind irgendwie nach wie vor eine der frauenfeindlichsten Einrichtungen die es gibt. Ist immer noch unverständlich, dass bei staatlich subventionierten Häusern, also von uns, vom Volk bezahlten Kunsteinrichtungen, 80% Männerdominanz in Regie und Autorenschaft und Leitung bestehen. Das ist albern. Das ist auch lächerlich eigentlich, oder? Bei den Büchern tut sich da mehr. Als ich anfing wurde ich so vehement gehasst, dass ich dachte „Upps, was hab ich denn gemacht? Hab ich irgendwie eine Revolution angezettelt, oder schreibe ich Bücher?“

FH: Ab wann hat sich das geändert? So ab „Ende Gut“ oder noch viel später?

SB: Nein, noch viel später. Seit etwa fünf Jahren habe ich ein bisschen meine Ruhe. Also diese Texte, die ich dann irgendwann nicht mehr gelesen habe, die so ganz symptomatisch erstmal zwei Seiten über mein Äußeres geschrieben wurden, bevor man überhaupt erstmal zum Inhalt kam, dass Frauen, nicht nur mir, generell abgesprochen wurde, dass sie so etwas wie eine Erklärungshoheit haben. Also dass wir sehr gut die Welt erklären können. Es wurde immer versucht das runterzukochen auf etwas Privates. Frauen schreiben über ihre Gefühle oder Biografien und das große Ganze obliegt dem Mann.

FH: Wobei das ja in der Poesie eher nicht so ist. Also historisch gesehen sind die großen Dichter ja alle Männer!

SB: Ja! Ja klar. Aber die erklären und schreiben weltheitliche Gedichte. Also ich bitte dich!

FH: bell hooks, die Autorin, Schriftstellerin, Aktivistin, hat dazu mal gesagt, dass das darin liegt, dass Männer eher Liebe erfahren, weil ihnen von Frauen Liebe gegeben wird und deswegen können sie auch darüber schreiben, deshalb entsteht auch Sehnsucht nach Liebe, wenn sie mal nicht da ist. Aber Frauen erfahren so wenig Liebe von Männern, deswegen…

SB: Ach Gottchen...

FH…: …können sie auch viel weniger darüber schreiben.

SB: Ja, fuck die Liebe. Das ist wieder Abteilung Zuschreibungen. Das ist vollkommen uninteressant. Ich glaube es ist besser geworden. Als ich rauskam mit den ersten, zwei, drei Büchern hieß es wirklich immer „Sie schreibt nicht weiblich“. Da dachte ich nur immer “What the F*! Was ist das?“ Das liegt ja auch irgendwie am Umbruch der Medien. Gedruckte Zeitungen verlieren ihren Status, es ist ja fraglich ob es die Printausgaben noch lange gibt. Gibt es denn noch das allmächtige, Männer geführte Feuilleton? Ist das noch wichtig? Die Zielgruppen, die ich so habe, ich glaube nicht dass die sich in der Süddeutschen Zeitung informieren. Es ist auch da alles in einem Wandel, das ist auch eher positiv. Mit der Vielfalt von Onlinemedien ist eigentlich eine wahnsinnige Bereicherung gekommen. Wollen wir jetzt mal irgendwie negativ werden? Das ist ja nicht auszuhalten hier!

FH: Ja, du bist gut drauf heute. Freut mich aber!

SB: Ja, ich muss grade positiv sein, sonst fange ich an zu heulen. Ich habe gestern irgendwie zu viel CNN gesehen und geheult dabei. Das bringt nichts.

FH: Ich trinke ja kein Wasser, ich trinke ja meine eigenen Tränen. (lacht)

SB: .. und Blut und Urin. Was man halt so trinken kann. (lacht)

FH: Darf man Werke von Autoren, die sich als Arschlöcher entpuppt haben, oder als toxisch in ihrer Männlichkeit, darf man die überhaupt noch gut finden?

SB: Da fragst du mich was!

FH: Oder Woody Allen. Darf man noch Woody Allen Filme sehen?

SB: Also ich als Flaggschiff der Toleranz sage sonst kannst du die ganzen Klassiker zu 90 Prozent wegpacken, sonst musst du aber auch die Theater schließen, weil in fast allen klassischen Stücke die ja nach wie vor hoch- und runtergedudelt werden, finden Frauen irgendwie als Geliebte, als hysterische Tanten, als Nutten oder Mütter statt. Beiwerk, schreiende Megären…

FH: …Musen!

SB: Ich finde nach wie vor wer das sehen und lesen möchte, soll das tun, es hat auch viel Schönes gehabt. Die anderen, die das lächerlich finden oder sich nicht dafür interessieren, haben ja mittlerweile andere Angebote zum Glück…

FH: Warte, ich will noch kurz was vorlesen von dir. Und zwar ist ja Totos Kompagnon in deinem wundervollen Buch „Vielen Dank für das Leben“ ein alter Mann namens Kasimir. Mittlerweile hast du ja dreißig neue Bücher geschrieben, ich weiß, entschuldige, dass ich da so fest hänge. Gerade hast du „Nerds Retten die Welt“ und davor „GRM Brainfuck“ veröffentlicht, aber ich würde gerne etwas vorlesen aus „Vielen Dank für das Leben“: „Kasimir war ein Mann, da blieben doch nur 70 Jahre, denn er würde, wie alle Männer, über seine physischen Verhältnisse Leben, Krebs bekommen, Depressionen, und dann wollte er verdammt nochmal die Möglichkeit haben, tot in seinem Pool zu treiben und von Angestellten, die immerhin ein Lächeln unterdrückten, gefunden und beerdigt zu werden.“

SB: Ganz lustig, oder?

FH: Das ist ja schon…

SB: …eine sehr verkürzte Darstellung… (lacht)

FH: Ja, eine verkürzt aber für viele Biografien auch eine korrekte Darstellung. Gerade dafür, wie heterosexuelle Männer einer Generation, die jetzt zwischen 60 und 80, mit sich umgeht. Also dass sie eigentlich in ihrem Leben eher die Position einnahmen für die Familie zu sorgen, das Familienoberhaupt zu sein, der Aggressor zu sein, der Versorger. So sehr, dass sie dabei völlig vergessen haben, sich auch um sich selbst zu kümmern und herauszufinden „Ey, was tut mir eigentlich gut?“ Meine Idee von Männlichkeiten und deswegen heißt ja auch der Podcast so, „über Männlichkeiten“, was ja eigentlich traditionelle Männlichkeit schon durch die Mehrzahl in Frage stellt, impliziert ja auch die Freiheit, den Fürsorgeanspruch auch an sich selbst zu verwirklichen…

SB: War das eine Frage jetzt?

FH: Nein, ich sinniere noch.

SB: Ah, wir sinnieren gerade…

FB: Was ich eigentlich sagen möchte ist, dass es doch tragisch ist, dass viele Männer vor allem aus Generationen vor uns nicht gelernt haben, sich auch um sich selbst zu kümmern. Kein Gefühl für sich selbst haben. Das ist doch tragisch.

SB: Aber eigentlich sind das Menschen die unser Mitgefühl verdienen. Viele Männer haben auch von ihren Müttern und Vätern nur das gelernt, was die von ihren Müttern und Vätern gelernt haben und das ist eben „ein Junge weint nicht“ und all diese blöden Sachen.Sehr oft fühlen sie sich garantiert nicht wohl damit. Und so agieren sie nicht nur gegen sich, sondern auch oft gegen ihre Familie. Zucht, Ordnung, Härte, das ist natürlich auch sehr toxisch für Familien – bis heute. Denn das gibt es natürlich bei jüngeren Menschen auch. Ich glaube fest daran, dass es sehr wenige wirklich fundamentale Unterschiede gibt zwischen Jungen-Babys und Mädchen-Babys. Alles, was später wieder von Männer im dem Bereich der Hirnforschung kam, waren natürlich Thesen um Unterschiede zu manifestieren und nicht um eine Gleichheit zu belegen. Ich denke, dass gerade ältere Männer, die in so starren Systemen aufgewachsen sind, mit so furchtbaren Zuschreibungen, wirklich furchtbar gelitten haben. Wie muss das sein, wenn du dich nicht wohl fühlst und dann „Ich bin der Starke, der Ernährer und bei mir herrscht Zucht und Ordnung“ durchziehst? Wie wahnsinnig fragil das ist und wie angreifbar und erschütterbar das ist. Ich setzte auch da irgendwie eine große Hoffnung auf die kommenden Generationen, wo das langsam aufweicht.

FH: Aber gibt es für die, die noch da sind, mit denen wir auch noch konfrontiert sind, weil sie unsere Väter sind, oder unserer Chefs, Verlagschefs…

SB: …oder Regierungschefs..

FH: … und Intendanten, gibt es für die noch Hoffnung? Oder müssen wir einfach warten bis die aussterben?

SB: Nein, ich glaube wirklich an den Prozess. Ich glaube erstmal gar nicht so furchtbar an Unterschiede im Alter. Es besteht gerade so ein Generationenkonflikt, der auch befeuert wird um Bevölkerungen zu spalten. Weil gespaltene Bevölkerungen gut regierbar sind. Ich glaube einfach, dass es natürlich saudumme junge und saudumme alte Menschen gibt und da kann man auch nichts machen, die sind einfach doof. Ich denke aber auch, dass bei allen die lebendig bleiben und intelligent sind und das Leben als eine Prozess begreifen und gerne lernen, dass da nie irgendwas zu spät ist. Nie. Also wenn du siehst wer wen und wie wählt. Wer wählt Trump? Wer wählt Bolsonaro? Wer geht in die AfD? Das sind ja jetzt nicht alles alte Menschen, das sind auch sehr viele jüngere Männer und Frauen. Dann kommen wir wieder dahin, dass du einfach wirklich zusehen musst, dass du zäh und hartnäckig dieses Thema veränderst.

FH: Wenn jede*r der individuelle Mensch wird, der man tatsächlich ist, wird natürlich auch so eine Neuordnung viel schwieriger…

SB: Darum sind auch glaube ich queere Menschen so eine Bedrohung. Queere Menschen und Frauen sind eine Bedrohung für Diktatoren, für Populisten. Denn die tragen immer den Herd der Unruhe in sich. Die wollen sich nicht einordnen lassen, die hinterfragen, die erfinden neue Wege und neue politische Aktionen und das ist immer eine Gefahr. Darum wird das ja bei den neuen, tollen Diktatoren in Ungarn und Polen und bei unserem Freund Putin so rigide verfolgt und das ist immer sehr, sehr gefährlich. Und da muss man sich fragen, warum ist das gefährlich? Das ist ja auch irgendwie cool, weil dass heißt ja, wir haben eine Macht. Es gab jetzt grade so ein Hacker-Kollektiv. Die leaken einfach im Sinne der absoluten Transparenz des Journalismus. Die leaken die einfach alles was ihnen unter die Nägel kommt. So wie Herr Assange nur nur einfach mit sehr vielen nicht-binären Personen. Da entsteht einfach eine wahnsinnige Macht im Journalismus, der auf Transparenz basiert. Da sehe ich ein wahnsinniges Potenzial, dass man dieses System, das von Männern teils erfunden wurde, gar nicht bedienen muss, sondern dass man sich seine eigenen, neuen Systeme baut.

FH: Und die auch wiederum gar nicht aufzuhalten sind, weil sie alte Strukturen durchbrechen und von veralteten Systemen überhaupt nicht verstanden werden…

SB: Zum Beispiel. Yeah Mann! Hallelu, der kleine Optimisten- Podcast!

FH: Ja, wir nennen das mal kurz um! Vielen Dank!

FH: ——

FH: Das war die überaus optimistische Sibylle Berg. Über noch viel mehr schlaue Sachen unterhält sie sich mit Gewaltforscherinnen, Meeresökologinnen und Neuropsycholog*innen in ihrem Buch “Nerds retten die Welt”, das auch eine Art vor Studie für ihren aktuellsten Roman “GRM – Brainfuck” war...

FH: ——

Werbung 2: Und wir sind zurück in der Werbung: … und zurück bei Dr. Hauschka. Was ich an den Produkten grundsätzlich richtig gut finde und auch wichtig: Da wird nicht versucht durch Farben, Typo und Verpackungen speziell Frauen oder nur Männer anzusprechen. Dr. Hauschka ist für für alle Geschlechter, da wird nicht gegendert. Also klar gibt es unterschiedliche Hautbilder und natürlich auch persönliche Vorlieben. Aber die “Rosen Tagescreme” zum Beispiel ist vom selben “Hauschka Weiß-Gelb-Gold” umhüllt wie die “Melissen Tagescreme”. Die liebe ich, weil ich schon manchmal aussehe wie ein frisch gefettetes Kuchenblech. Meine Diagnose ist “T-Zone mit Tendenz zu starker Mischhaut”. Heilpflanzenauszüge wie Melisse, Gänseblümchen – ja wirklich Gänseblümchen – und Wundklee beruhigen die Haut und fettige Hautstellen werden wieder matt ohne auszutrocknen. Grundsätzlich gilt ja: Immer schön „moist“ bleiben. Weil ich nie ohne Eincremen kann nach dem Duschen, stehe ich auch sehr auf das Moor Lavendel Pflegeöl, das ist quasi Aromatherapie. Durchatmen, noch einen Schluck Kaffee und auf in den Tag. Die Rohstoffe werden in Handarbeit mit Liebe und im eigenen Heilpflanzengarten und auf den Feldern ihres Demeter-Hofs in Eckwälden geerntet, am Fuße der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg, nur zwei Stündchen entfernt wo ich ursprünglich herkomme. Rastatt bei Baden-Baden. Oft wird schon im Morgengrauen geerntet, damit die volle Kraft der Pflanzen erhalten bleibt. Was nicht aus eigener Hand angebaut wird, stammt teils aus Wildsammlungen auf der Schwäbischen Alb, teils aus ökologischen Anbauprojekten auf der ganzen Welt. Oder von Partnern, die so fair und nachhaltig und zart arbeiten wie Dr. Hauschka selbst. Aber jetzt erstmal weiter im Programm.

Werbung 2: ——

Werbung 2: Das war die erste Folge von “Zart Bleiben”. Ich bin jetzt natürlich gespannt was ihr sagt und möchte euch anbieten, selbst in die Konversation einzusteigen. Schreibt mir gerne via zartbleiben@fabianhart.com, persönlich erreicht ihr mich auf Instagram @fabianhart. Wenn euch die Folge gefallen hat oder ihr einfach nur wissen wollt, was das noch so kommt, dann würd’ ich mich natürlich freuen, wenn ihr “Zart Bleiben” abonniert, ihr findet mich überall wo es Podcasts gibt – bei Spotify und Apple Podcast zum Beispiel. Hinterlasst gerne einen Kommentar und am allerliebsten eine gute Bewertung. In der nächsten Folge plädiert Moderator Tarik Tesfu für die radikale Abschaffung von Männlichkeit und welche Rolle dabei das Tanzen spielt, wird dann auch klar. Die Kontakte und Infos zu meinen Gästen findet ihr natürlich auch in den Shownotes zum Podcast. Bis dahin – bleibt zart! Euer Fabian Hart.

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